Der Begriff des Staates
Der Begriff des Staates wird zuerst als Begriff des Staats
überhaupt (§§ 257-259), dann als Begriff des
Staates qua Begriff (§§ 260-271) dargestellt.
1. Der Begriff des Staates überhaupt.
Hegel begreift den Staat als die « sittliche
Idee » (bzw. Totalität), die « wirklich »
geworden ist, d. h.(vgl. Die Wissenschaft der
Logik, Zweites Buch, Die Wirklichkeit)
eine ihrem inneren Wesen vollends angemessene äusserliche
Existenz erhalten hat. Die Totalität, welche als solche
zugleich mit sich identisch und in sich unterschieden, also
die Identität ihrer Identität oder Allgemeinheit
und ihres Unterschiedes oder Partikularität ist, kommt
nicht mehr so zur Äusserung, dass sie noch gänzlich
dem Gesetz des Aussersichseins oder der Differenzierung unterstände
; sie realisiert sich vielmehr als konkrete Identität,
als Totalität. Der auf diese Weise ontologisch aufgefasste
Staat unterscheidet sich dadurch von der abstrakten, einseitigen,
entzweiten – streng genomen : unwirklichen – Realisierung
der sittlichen Totalität. Als eine solche unangemessene
Realisierung trat zuvor die Sittlichkeit auf, zuerst als die
das Ganze und das Individuum miteinander verschmelzende unterschiedslose
Identität der Familie, anschliessend umgekehrt, als deren
unvereinigtes, im Gegensatz stehenbleibendes Verhältnis,
das die « bürgerliche Gesellschaft » charakterisiert.
2. Der Begriff des Staates qua Begriff.
Die Verwirklichung der sittlichen Idee selbst muss dem allgemeinen
Gesetz der Idee oder Totalität folgen : daher ist sie
selbst eine totale Verwirklichung der Totalität. Also
kommt das wirkliche sittliche Ganze nach der dreifachen in
der Totalität liegenden Erfordernis als Staat ins Dasein
: es realisiert sich zuerst nach seiner Identität mit
sich, dann nach seinem Unterschiede in sich, und endlich nach
seiner Identifizierung dieses Unterschiedes und jener Identität.
In der ersten, einigenden Verwirklichung der staatlichen Totalität
erscheint diese als ein in inneren Einheit fortbestehendes
Staatswesen, so tätig es auch nach Aussen sein mag. Der
Staat, in einer solchen inneren Einheit eingeschlossen, existiert
sozusagen als Begriff. Dieses einheitliche Leben des Staates,
dessen Inhalt das « innere Staatsrecht » ausmacht,
ist zwar, als Leben eines konkreten oder totalen Eins, der
Prozess seiner Selbstdifferenzierung in verschiedene Tätigkeiten
(nach Innen oder nach Aussen) und denselben entsprechende
Gewalten ; zunächst aber, in einer Einleitung zum ersten
Hauptteil der Staatstheorie (§§ 260-271), betrachtet
Hegel den blossen Begriff dieses in seiner Einheit begriffenen
staatlichen Lebens.
I. Der Begriff des Staates
überhaupt
Insofern der Staat die sittliche Idee als sich durchdringende
Einheit ihrer substanziellen, unmittelbaren, naturhaften Identität
mit sich und ihrer subjektiven, in sich reflektierten, gebildeten
Selbstdifferenzierung vollkommen verwirklicht, muss er zugleichs
den Anforderungen der massenhaften Einheit der Volksgemeinschaft
und der sich verselbständigenden Individuen gerecht werden.
Doch ist eine solche Vereinigung entgegengesetzter Forderungen,
teils seitens der allgemeinen Substanz, teils seitens der
einzelnen Subjektivität, keine blosse Neutralisierung
: die Hegelsche Synthese der Entgegengesetzten ist nämlich
jedesmal die Selbstvereinigung des Einen
mit seinem Andern (das Absolute ist subjektive Einheit
des Subjekts und des Objekts, göttliche
Einheit Gottes und Menschen, u.s.w). In der objektiven
oder substanziellen Gestalt des Geistes – dem «
objektiven Geist » oder « Recht » –,
ist deswegen die Vereinigung der Substanz und der Subjektivität
eine substanzielle Vereinigung : im rechtlichen Elemente
übergreift also das Moment des Objektiven und Allgemeinen
das Moment des Subjektiven und Einzelnen, es ist der Träger
oder das tätige Substrat seiner Einheit mit seinem Andern.
Deshalb bestimmt Hegel zunächst den Staat als die subjektive
Existenz der Substanz (§ 257), ferner aber als das substanzielle
Wesen der Subjektivität (§ 258). Weil nun die staatliche
Vernunft ihren wahren Inhalt geschichtlich entwickelt –
diese geschichtliche Realisierung ist selbst der letzte und
höchste Inhalt des Rechtes –, gelangt die Befriedigung
ihrer beiden Hauptforderungen selbst geschichtlich ins Dasein.
Daher erinnert Hegel an die antike und die moderne Gestaltung
des Staatswesens, dessen Forderungen nur einseitig in denselben
befriedigt worden sind. Der antike Staat erkennt nicht die
wesentliche Freiheit der einzelner Individuen an, und steht
der subjektiven Existenz der sittlichen Substanz im Wege :
Sokrates wurde zum Tode verurteilt. Im Gegensatz dazu, lässt
der moderne Staat dies allgemeine Wesen der im Gang der Weltgeschichte
befreiten Subjektivität ausser Betracht. Hier ist es
aber zu bemerken, dass Hegel vor allem diese letzte moderne
Einseitigkeit bekämpft, sowohl insofern dieselbe die
politische Realität, als auch deren ideal-theoretische,
ja philosophische Reflexion-in-sich betrifft. Zwar wird sich
die in solcher bedeutenden Polemik enthaltene Neuerung am
ganzen Inhalt der Hegelschen Staatstheorie ausführlich
darstellen, doch tritt sie schon in der hier angezeigten allgemeinen
Gliederung des Staatsrechts hervor, und insbesondere in der
Erklärung der dritten und letzten Stufe desselben, welche
als solche den Sinn der beiden früheren Stufen entscheidend
bewährt.
1. Der Staat als subjektive
Existenz der sittlichen Substanz (§
257)
a)
Dass der Staat in ontologischer Hinsicht als « die Wirklichkeit
der sittlichen Idee » begriffen wird, d. h. als das
angemessene Realisiertsein der sittlichen Einheit der substanziellen
Allgemeinheit und der subjektiven Einzelheit des Willens im
Selbstbewusstsein, worin der Geist sich Existenz gibt, bestimmt
ihn zur sich denkenden Sittlichkeit. Denn das denkende
Bewusstsein versöhnt erst in ihm selbst die einzelne
Tätigkeit des Subjekts und die allgemeine Notwendigkeit
des Objekts, indem es beide zusammen absolut setzt. Einerseits
erlebt sich das sich selbst bloss fühlende Subjekt
als von einem es begrenzenden oder negierenden Objekte affiziert,
das seinerseits als gefühltes von der Subjektivität
gleich bedingt, begrenzt und negiert wird. Anderseits fasst
das vorstellende Bewusstsein vom Objekte, als formal
von ihm selbst unterschiedenes, einen doch sinnlich bleibenden
Inhalt auf, d. h. einen dem besonderen, bedingten Zustand
eines dadurch in seinem Dasein streng beschränkten Subjekts
entsprechenden Inhalt.
Mit dem Denken verhält es sich ganz anders. Denn indem
ich denke, bringe ich durch einen absolut freien Akt einen
nichtsdestoweniger allgemeinen und notwendigen Sinn hervor
: das synthetische Denken vo Subjekt und Objekt setzt jedes
für sich mit gleicher Absolutheit. Durch eine solche
denkende Selbstsetzung bringt also der Staat die zusammenhängende,
darum aber nicht vermengende Einheit des allgemeinen substanziellen
oder objektiven Willens und des einzelnen subjektiven Willens
vollkommen ins Dasein, deren spezifische Bestimmungen somit
bewahrt werden. Die Familie, als in blossem Gefühl
sich erlebendes Dasein der sittlichen Totalität,
hält dieselbe in einer vermengenden Einheit fest, worin
sie zugleich und gleicherweise den Willen der Individuen und
den Willen des Ganzen durcheinander begrenzen lässt :
die Einzelnen können sich nicht in dem Ganzen verselbständigen,
das seinerseits ein vereinzeltes, beschränktes, endliches
Ganzes bleibt. Die bürgerliche Gesellschaft befreit zwar
im unterscheidenden Elemente des vorstellenden Lebens
die Macht des Individuuns und die Macht des Ganzen voneinander
; damit aber werden dieselben, trotz ihrer sittlichen, ursprünglich
notwendigen Beziehung, feindselig gegeneinander : das eine
als selbstsüchtiger Einzelwille, das andere als hartes
allgemeines Schicksal. Das soziale Leben ist also das sich
selbst entgegengesetzte sittliche Leben, welches durch eine
solche innere Gegenständlichkeit sich selbst
erscheinen, zur « Erscheinungswelt des Sittlichen
» (§ 181) werden kann. Jenseits aber des blossen
Sich-Erlebens der sittlichen Idee (in der Familie)
und des Sich-Erscheinens (in der bürgerlicher
Gesellschaft) ist ihre vollendete wirkliche Selbstäusserung
ihr im denkenden Staatsleben realisiertes Sich-Offenbaren.
Dabei manifestiert sich die sittliche Totalität erschöpfend,
weder nur in ihrer abstrakten Identität noch nur in ihrer
abstrakten Differenz, sondern in ihrer selbstdifferenzierten
konkreten Einheit. Die adäquate, vollendete Selbstverwirklichung
der Sittlichkeit besteht also weder in dem fühlenden
Leben der Familie, noch in dem vorstellenden Leben der Gesellschaft,
sondern erst in dem denkenden Leben des Staates. Erst im Staat
verwirklicht sich die sittliche Idee mit voller Durchsichtigkeit
ihres inneren Sinnes : ihre Objektivierung drückt ihr
Subjekt vollends so aus, dass dieses Subjekt in solcher Objektivierung
absolut bei sich ist, und so dieselbe frei beherrscht. Wenn
die Sittlichkeit, in der Familie natürlich da ist
und sich in der bürgerlichen Gesellschaft produktiv
bildet – jedoch in der sich selbst entziehenden dunklen
Macht der ökonomischen Produktion –, verwirklicht
sie sich in der staatlichen Tätigkeit als sich selbst
eigentlich erschaffend ; und dies, weil der Staat
denkend und das Denken der selbstherrliche Geist ist. Kurz,
mit Hegels Worten, ist « der Staat... als der offenbare,
sich selbst deutliche, substanzielle Wille, der sich denkt
und weiss, und das, was er weiss, und insofern er es weiss,
vollführt » (§257). Dieses Selbstdenken des
Staats äussert sich im Recht insbesondere als die verallgemeinernde
Selbsttätigkeit der Gesetzgebung, zunächst in dem
den wahren Staat als konstitutionellen Staat errichtenden
Grundgesetz.
b)
Die Erhebung des substanziellen oder allgemeinen Willens zu
derjenigen Subjektivität, wodurch derselbe sich politisch
verwirklicht, manifestiert sich auf zweierlei Weise. –
Sie geschieht erstlich auf die Art, dass der substanzielle
allgemeine Wille seine massenhafte Einheit in die gleichfalls
allgemeine Subjektivität der Sitten überhaupt
reflektiert. Diese machen das Gesamtbewusstsein oder den gesamten
Gehalt des Bewusstseins aus, welches zwar eigentlich nur im
einzelnen Bewusstsein und als ein solches existiert, aber
in der Firm, dass das einzelne Bewusstsein als seine Natur
diejenige zweite – geistige – Natur voraussetzt,
deren gewöhnlichen Inhalt die Sitten entfalten. Solch
eine substanzielle Subjektivität der sittlichen Substanz
vermittelt deren eigentlich subjektive Subjektivität,
welche sich im einzelnen Tun des Selbstbewusstseins Dasein
gibt.
Im Staat wird nun dieses Tun, das als solches negierend, erneuernd
und befreiend ist, durch das unmittelbare sich selbst gleiche
Sein der Sitten bedingt und begrenzt ; freier wird es in der
einzelnen Negativität des Selbstbewusstseins. Wenn die
ursprünglich einzelne Freiheit (denn das Selbst ist schlechthin
Beziehung-auf-sich) die sittliche Tätigkeit von der hergebrachten
Notwendigkeit befreit, wenn der Volksgeist all seine inneren
allgemeinen Möglichkeiten vermittels der ergreifenden
Energie eines grossen Individuums (vgl. die « welthistorischen
Menschen ») verwirklicht, so wird erst doch umgekehrt
das freie Tun desselben zu einer wirklichen Tat. Es bringt
nur insofern ein in den objektiven Geist eingesetztes Werk
hervor, als es innigst – wenn auch mitunter negativ
– im substanziellen Sein der Volkssitten verankert ist.
Es sollen zwar die Sitten ihrer selbst denkend bewusst werden,
was dadurch geschieht, dass sie in ein Gesetzbuch übersetzt
werden, denn das gesetzgebende Denken, als echt verallgemeinerndes
Tun, geht jederzeit über die originell partikuläre
(bloss spezifischen) Kontinuität der Sitten hinaus. Dennoch
entgehen die Gesetze nur insofern der den willkürlichen
Bestimmungen inhärierenden Vergänglichkeit, als
sie bestimmte Sitten denkend ausdrücken.
Aus diesem Grunde muss das einzelne Selbstbewusstsein das
Leben desjenigen Staates verinnerlichen, dessen vom eigenen
Schicksal befreiendes Tun die Sitten voraussetzt. Dies als
Wesen, Zweck und Wirkung seiner hiemit als substanziell geretteten,
als Notwendigkeit realisierten Freiheit. Das Individuum muss
also, als einen Patriotismus, die substanzielle Voraussetzung
seiner subjektiven Betätigung in sich selbst setzen,
was es von seiner Subjektivität auf positive, wirksame
Weise befreit. Nur dann, wenn auf diese weise die Substanz
selbst sich zum Subjekte macht, ist die subjektiv gewordene
substanzielle Sittlichkeit wahrer als die schlechthin, d.
h. abstrakt oder bloss substanzielle Sittlichkeit. Hegel will,
in § 258, auf negierende oder polemisierende Weise dieses
Thema ausführlich darlegen, wonach im Feld des eben genannten
objektiven Geistes die Subjektivität in die Substanzialität,
d.h. das Individuum beständig in das staatliche Ganze
einzugliedern ist.
c)
In § 257 Anm., bestimmt Hegel konkreter die sittliche
Eigentümlichkeit des Staates als gedachter Sittlichkeit,
indem er dessen eigenen göttlichen Wert demjenigen der
ersten sittlichen Gestalt, der Familie, entgegensetzt. Es
ist nun nicht erstaunlich, dass die bürgerliche Gesellschaft
hier von der Vergöttlichung ausgeschlossen bleibt : wie
nämlich nach Hegel die zweiten, unterscheidenden
Denkbestimmungen überhaupt nicht das mit sich identische
Sein des Absoluten ausdrücken und damit selbst verabsolutisiert
werden können, so kann insbesondere diejenige entzweite,
erscheinende Sittlichkeit, die das sozial-ökonomische
Leben ausmacht, nicht als ein anderes Gotteswesen dem «
irdisch-göttlichen » Staat entgegengesetzt werden.
Dagegen erscheint die Vergleichung der Familie mit dem als
göttlich bezeichneten Staat um so verständlicher,
als Hegel sie mit dem antiken Beispiel konkretisiert. Denn
das antike sittliche Leben, worin die reine wirtschaftliche,
weder zur Familie noch zum Staate gehörende Tätigkeit
allein den Sklaven (als Halbmenschen) zukommt, ist charakterisiert
durch den Hauptgegensatz zwischen der unmilltelbaren sittlichen
Einheit der Familie - als Natursein – und der vermittelten
sittlichen Einheit des Staates - als bewustes und beabsichtiges
Tun (vgl. Die Phänomenologie des
Geistes, VI). Weil Hegel aber
die in der empfindenden Pietät eingeschlossene Sittlichkeit
der Familie und die vom wissenden Willen befreite Sittlichkeit
des Staates unterscheidet, indem er dieselben religiös
symbolisiert als einerseits die « inneren » und
« unteren », also unterirdischen Götter (die
Penaten) und anderseits als den sonnenklaren Volksgott (die
sich selbst wissende und wollende Athene), hebt er an der
staatlichen Sittlichkeit selbst bei ihrem antiken unmittelbaren
Dasein eben das hervor, was sie zur modernen Potenzierung
der Subjektivität bestimmt.
In § 258 will er dann beides ins Gleichgewicht bringen
: die Betonung der notwendigen politischen Subjektivierung
der sittlichen Substanz und das ebensosehr notwendige Einsetzen
der Subjektivität in eine immer noch substanzielle Politik.
Die in der Neuzeit geschichtlich vollendete Problematik der
Sittlichkeit besteht aber keineswegs in der gespannten Beziehung
der Familie und des Staates, sondern in derjenigen zwischen
der bürgerlichen Gesellschaft, worin die einzelne Subjektivität
des Menschen als solchen – konkreter : als
Bürger – für sich selbst gefördert wird,
und dem Staat, in dessen Dienst der Mensch sich als Staatsbürger
über sich selbst erhebt. Diese neuere Spannung spricht
eben der Untertitel der Grundlinien der Philosophie
des Rechts an : « Naturrecht und Staatswissenschaft
im Grundrisse ». Denn erstens realisiert sich das (moderne)
Naturrecht als idealer Anspruch auf die Rechte des Menschen,
wirklich nur in der entwickelten Gesellschaft, und zweitens
weist die in der klassichen antiken Lehre einwickelte Staatswissenschaft
das Individuum vor allem auf seine vaterländische Hauptpflicht
hin.
2. Der Staat, als substanzielles
Wesen der Subjektivität (§ 258)
Im § 258 selbst bezeichnet Hegel den Staat als die sittliche
Vernunft : diese als solche synthetisiert in sich
selbst die Anerkennung vom substanziellen allgemeinen Willen
und einzelnen Willen ; der einzelne Wille wird damit rechtsfähig
und gegenüber dem Staat verpflichtet, vor allem dazu,
Mitglied desselben zu sein. In der ausführlichen Anmerkung
zieht er dann aus dem vernünftigen Sein des Staats die
Folgerungen für die politische Theorie und Praxis ; diesen
Folgerungen werden weder die fortschrittliche Gesinnung des
revolutionären Verstandes noch die rückschrittliche
Gefühlsanchaunung der Restauration gerecht : beide nämlich,
mögen sie noch so entgegensetzt sein, verkennen gleichermassen
die politische Vernünftigkeit. Hier bekämpft Hegel
aber vor allem den rückschrittlichen Irrationalismus,
den er zur Zeit der Veröffentlichung seines Werks, der
Zeit der siegenden Heiligen Allianz, als die bedrohlichste
Gefahr erachtet.
a) Die staatsbürgerliche Pflicht
Dass der Staat insofern im substanziellen oder allgemeinen
Willen wahrhaft verwirklicht ist, als dieser durch die Erhebung
des besonderen Selbstbewusstseins zu ihm, d. h. durch die
Selbstnegation dieses somit notwendig vorausgesetzten Bewusstseins
vermittelt wird - oder auch : dass in jenem Willen die Subjektivität
sich betätigt -, dies macht den Staat zum an und für
sich Vernünftigen. Dies gilt, weil die Vernunft eben
diese Identität des An-sich-seins mit dem Für-sich-sein
ist, worin beide ihrem vollen Sinne nach verwirklicht werden.
Was an sich ist, d.h. nicht in Anderem, das ist nun das Allgemeine
; aber dieses ist erst es selbst, von keinem Anderssein affiziert,
wenn die ihm seinen Sinn gebende Beziehung die Beziehung-auf-sich,
m.a.W. das einzelne Fürsichsein ist. Umgekehrt wird erst
das, was für sich selbst und dadurch einzeln ist, von
einem es auf Anderes beziehenden Sein seiner selbst freigemacht,
wenn seine Reflexion-in-sich diejenige des Allgemeinen ist.
Weil aber im Staat als wahrer Gestalt des objektiven Geistes
diese sich durchdringende Einheit der Allgemeinheit und der
Einzelheit eine objektive, substanzielle oder allgemeine ist,
und die objektive oder substanzielle Allgemeinheit über
die subjektive Einzelheit übergreift, darum überwiegt
die Identität mit sich, die Ruhe der politischen Vernunft
die differenzierende Bewegung derselben. Einesteils sichert
die sittliche Substanz dem freien Tun des Individums eine
objektive Wirksamkeit, indem sie ihm einen mit sich identischen,
unbewegten, also absoluten Selbstzweck als feste Grundlage
für die dadurch selbst erst realisierbaren zufälligen
Zwecken der Besonderheit gewährt. Weil nun jene Allgemeinheit
des Staatslebens dem einzelnen Subjekte ermöglicht, die
weltliche Objektivität zu durchdringen, befördert
sie es als freies Subjekt. Denn frei zu sein, heisst nach
Hegel soviel wie in der Welt « bei sich sein ».
Daraus erhellt, dass die Freiheit im Staate « zu ihrem
höchsten Recht kommt ». Andernteils aber verwirklicht
sich die Freiheit als verallgemeinernde Aufhebung ihrer unmittelbaren
Einzelheit in diesem alle anderen Rechte bedingenden Rechte.
Ein solches Recht ist also zugleich die « höchste
Pflicht », der staatlichen Allgemeinheit zu dienen.
Dergestalt, dass nicht der Mensch als solcher den Staat zufällig
errichten könne oder auch nicht, sondern vielmehr der
notwendig vorausgesetzte Staat allein den Menschen zum Menschen
macht.
b) Gegen den Irrationalismus in der Politik
Hegel lehnt drei Arten des Irrationalismus ab, die in der
modernen Geschichte nacheinander aufgetreten sind und sich
voneinander durch die Weise der Absonderung des Staats vom
Denken unterscheiden. Entweder fehlt das Denken in der Bestimmung
des Staates, oder es ist darin bloss partiell enthalten oder
sogar daraus vollständig ausgeschlossen.
Zuerst hat das politische Denken den Staat nicht als wesentlich
Gedachtes gefasst, d.h. als vom denkenden Wesen des Menschens
gefordert, sondern als dem natürlichen Sein desselben
entsprechend. Der Empirismus des modernen Naturrechts bezieht
die staatliche Einheit als blosses Mittel auf die ihre Sonderinteresse
zum Zweck machenden Individuen. In dieser Auffassung reflektiert
sich ideell das spezifische Wesen des modernen Staats, in
dem die eigensüchtige Individuen versammelnde bürgerliche
Gesellschaft sich entwickelt. So aufgefasst wird diese, welche
doch nur die neuere geschichtliche Erscheinung des Staates
ist, mit dem beständigen Wesen desselben verwechselt.
Bei einer solcher Historisierung des Inhalts der Staatslehre
wird dann, formal betrachtet, an die Stelle des philosophischen
Denkens der Idee des Staates die historische Vorstellung der
Bedingungen des Hervorgehens desselben (Selbstentfaltung der
Familie zur Nation, Konflikte zwischen den Individuen, Sozialitätstrieb,
Vertrag, göttliches Gebot, u.s.w.) gesetzt; Bedingungen,
die bloss eine zufällige Äusserung des notwendigen
inneren Wesens des Staats sind. Solch ein im XVIII. Jahrhundert
gipfelnder Empirismus des Inhalts und der Form der Staatslehre
vollendet sich – auch im negativen Sinne dieses Wortes
verstanden – zum Denken vom Staate als gedachtem Wesen.
Wie bekannt, will Rousseau alle Fakta beiseite legen und somit
eine ungeschichtliche Entstehung und Entwicklung des Staats
darstellen, dessen Inhalt er überdies auf dem Denken
beruhen lässt. Nach ihm nämlich äussert der
Staat keineswegs die natürliche Kraft des Interesses,
sondern die denkende – als solche nur auf sich selbst
bezogene – Energie eines Willens, der seine Existenz
verallgemeinernd mit sich auszusöhnen beschliesst. In
seinen Vorlesungen, teils über die Philosophie der Geschichte,
teils auch über die Geschichte der Philosophie, lobt
Hegel Rousseau dafür, dass er ein solches freies Wollen
zum Absoluten gemacht und den Staat auf dasselbe gegründet
habe. Dennoch negiert sich bei Rousseau der politische Empirismus
noch empirisch. Einesteils erzählt er das in der Form
einer Reihe von realen Bedingungen, was er doch als ein bloss
gedachtes Wesen hat betrachten wollen. Andernteils ist es
bei ihm vornehmlich die einzelne Willkür, die sich
selbst negierend (im Vertrag) sich zum allgemeinen Willen
macht, so dass dieser allgemeine Wille darum immer nur ein
gemeinsamer Wille ist, weil er von den in aller Selbstnegation
immer noch selbsttätigen einzelnen Willen getragen wird.
Der deutsche Idealismus hält noch bei Fichte an einem
solchen empirisch-individualistischen Bedingtsein der politischen
Theorie fest. Nun aber ist der Irrtum dieser Theorie durch
das Scheitern der von ihr beseelten Praxis tatsächlich
manifestiert geworden. Denn es ist eben der verdächtigende
selbstbewusste Individualismus der sich für Rousseau
begeisternden französischen Revolutionäre, welcher
zur Zeit der Schreckensherrschaft das so verdächtigte
Wollen vom Allgemeinen zerstört hat. Die Vernunft ist
bloss vorgebliche Vernunft, solange sie nur die Subjektivität
des Individuums und folglich nichts anderes als den blossen
Formalismus eines den besonderen Erfahrungsinhalt bestätigenden
Verstandes ausdrückt. Das Denken wird allein dadurch
zur Vernunft, als es nicht bloss einen von Aussen her aufgenommenen
empirischen Inhalt durch seine allgemeine, dem einzelnen Für-sich
faktisch innewohnende Form abstrakt und willkürlich fixiert,
sondern sich selbst immanenter - oder notwendigerweise zum
dabei auch an sich allgemeinen Inhalte entwickelt.
Das Hegelsche spekulative Denken geht darauf, den Staat als
an sich selbst vernünftig zu denken, indem es ihn in
seinem absoluten Sinne als Selbstbestimmung des Absoluten
begreift.
Die Kritik der verstandesgemässen Staatstheorie –
es sei die des schon denkenden Empirismus bei Rousseau oder
des noch empirischen Verstandes bei Kant und Fichte –
kann dennoch in anti-rationalistischer Absicht ans Werk gehen,
als ob die reale Politik den Rückschritt hinter den Verstandes
selbst, d. h. die denkende Verallgemeinerung überhaupt
erforderte. Als ein Exempel eines solchen, zur Zeit der Restauration
geläufigen politischen Irrationalismus oder Naturalismus
greift Hegel das Werk des Berners Karl-Ludwigs von Haller
: Restauration der Staatswissenschaft (erschienen
von 1816 ab) heftig an. Um den politisch so gefährlichen
revolutionären Verstand abzuwenden, verwirft Haller alles
Denken, sowohl in der Form als auch im Inhalt der Staatslehre.
Daraus folgt, dass er in völliger Zusammenhanglosigkeit,
ja sogar Widersprüchlichkeit des Gedankens, das Staatsleben
als ein natürliches Spiel von miteinander streitenden
Kräften verstehen will, deren realitische erfolgreiche
Ausnützung und Beherrschung die Ablehnung des heuchlerischen
und ohnmächtigen nicht wahrhaft befreienden gesetzes-gesinnten
Tuns erfordert. Ist doch die Natur nicht vermittels des Denkens
zu retten, dessen Vermittlungen sie vielmehr verderben, indem
dadurch ihr unmittelbares göttliches Wesen nicht anerkannt
wird. Diesem romantisierenden Naturalismus setzt sich die
Hegelsche Darstellung des vernünftigen Staatsorganismus
vor allem entgegen.
3. Die vernünftige Gliederung des Staatsrechtes
( § 259)
Da die politische Vernunft das Selbstunterscheiden der wesentlichen
Identität des Staates ist, bestimmt sich die Idee desselben
nach der folgenden Progression :
– zuerst als Unterscheiden in der Identität des
Staates mit sich: dies ist die « Verfassung »
oder das « innere Staatsrecht »;
– dann als Unterscheiden dieser in ihr selbst unterschiedenen
Identität des Staatswesens von sich selbst : dabei existiert
dieses Staatswesen im « äusseren Staatsrecht »
als das Verhältnis verschiedener Staaten zueinander;
– endlich als Selbstunterscheiden in diesem Elemente
der Verschiedenheit der Staaten, der sich dadurch konkretisierenden
mit sich identischen allgemeinen staatlichen Idee : diese
manifestiert sich also als politische Welt-Vernunft oder als
der in der « Weltgeschichte » betätigende
« Weltgeist ».
Diese vernünftige dreiteilige Gliederung des Hegelschen
Staatsrechtes kann, formal betrachtet, an die kantische Einrichtung
des öffentlichen Rechts erinnern : Staatsrecht, Völkerrecht,
Weltbürgerrecht. Der Inhaltsunterschied der zwei Lehren
voneinander liegt aber in der jeweiligen Wertorientierung
des Gliederungsprozesses. Bei Kant nämlich ist das Staatsrecht
am kräftigsten als inneres Staatsrecht, und es verliert
von hier aus allmählich an seinem zwingenden Wirken.
Bei Hegel dagegen ist das unwiderstehlichste Staatsrecht das
Recht des Weltgeistes, dessen einzelnes Selbst eben das absolut
setzt, was sich notwendig schon als die Hauptgewalt des inneren
Staatsrechtes, d. i. die fürstliche Gewalt bestätigt
hat. Weil nun für Hegel die Substanz selbst Subjekt ist,
zeigt sich das Subjekt als gewalthabend auf allen Stufen des
substanziellen und allgemeinen Daseins, besonders im Feld
der politischen Vernunft - weit entfernt davon, blosser Stellvertreter
eines zwar substanziellen oder allgemeinen, aber für
sich selbst nur ideal oder normativ wirkenden Prinzips zu
sein.
II. Der Begriff des Staates
qua Begriff
(als innerer Selbstentwicklung) : das innere Staatsrecht
Die §§ 260-271 stellen den allgemeinen Sinn oder
den Begriff der inneren Selbstdifferenzierung dar, welche
der sittlichen Totalität ihren bestimmten Gehalt gibt.
Da nun dieser Totalität als der negierenden Identität
desjenigen Unterschieds oder Widerspruchs, der die Familie
und die bürgerliche Gesellschaft über sich selbst
hinaustrieb und zum Nichtsein verurteilte, ein Sein zukommt,
bestimmt Hegel zunächst den Sinn dieser staatlichen Identität
der Subjektivität mit der Substanzialität im freien
Willen (§ § 260-261). Dann deutet er die vorstaatliche,
in sich entzweite, widerspruschsvolle und damit der Notwendigkeit
preisgegebene Erscheinung des staatlichen Lebens auf höhere
Weise, indem er sie in ihrem wahren Wesen begreift, eine Manifestation
des Staates selbst zu sein, d. h. als einer mit sich selbst
versöhnten, freien Sittlichkeit inhärierend –
Differenz als Identität. In den §§
262-265, wird also die staatliche Freiheit als etwas dargesteellt,
das sich als Notwendigkeit betätigt und dadurch im Sein
verankert ist. Danach (§§ 266-270), führt Hegel
die eigentlich staatliche Manifestation des Staates ein, dessen
nicht bloss formale abstrakte Identität sich selbst zum
eigenen Inhalte differenziert ; die politische Freiheit macht
sich selbst zur rein politischen Notwendigkeit – Identität
als Differenz ; das bedeutet, dass sie nicht mehr
davon bestimmt werden kann, was im Prozess des Absoluten über
dem Staat liegt (vom absoluten Geiste, bzw. von der Religion
überhaupt), sondern von dem, was unter ihm liegt. Am
Ende gibt Hegel die immanente Selbstgliederung des inneren
Staatsrechtes an (§ 271).
1. Der Staat als wahre Verwirklichung der Freiheit
(§§ 260-261)
a)
Die Freiheit, im Hegelschen Verstand des Wortes,
nämlich als Bei-sich-sein des einzelnen Individuums in
seiner allgemeinen Umwelt, d. h. als Identität der verschiedenen
Subjektivität und der mit sich identischen Substanz,
kurz : als « konkrete Freiheit » (das Konkrete
verstanden als die Identität-mit-sich – «
cum » - dessen, was sich entwickelt – «
crescere » –, ausdehnt, abtrennt, unterscheidet),
verwirklicht sich objektiv in der Sittlichkeit überhaupt.
Wenn aber der die Familie und die bürgerliche Gesellschaft
belebende Wille zugleich auf das Wohl des Individuums und
des Ganzen hinzielt, so geschieht dies doch nur entweder beim
innigen, aber engen, Kreise der Familie oder im allgemeinen,
aber unheimischen, entäussernden Zusammenhange der bürgerlichen
Gesellschaft; jedenfalls in einem die Befreiung des Menschen
hemmenden sittlichen Verhältnis. Der Staat allein verwirklicht
auf absolute Weise, im Element des objektiven Geistes, die
konkrete Freiheit des Menschen. Denn in ihm, als in einer
zugleich allgemeinen und heimischen Umgebung, ist der Mensch
bei sich selbst ; daraus folgt, dass er eine solche Umgebung
zugleich in ihrer ganzen Allgemeinheit und sich selbst in
seiner eigensten Einzelheit wollen kann. Allerdings realisiert
sich dieses Wesen des Staates nur im modernen Staate vollkommen.
Denn der antike Staat befreit das Individuum, dessen Menschheit
durch die Staatsbürgerlichkeit bestimmt, also beschränkt
ist, nicht vollständig. Der Staat übt unmittelbar
seine Macht und Gewalt auf die Einzelnen aus, und dieses reale
Versunkensein der Einzelnen im Ganzen reflektiert sich ideell
an der politischen Lehre, wie bei Plato und Aristoteles.
b)
Dagegen befreit die ausserpolitische christliche
Vergöttlichung des Individuums so sehr den Menschen von
dem Staatsbürger, dass die moderne Staatslehre den Staat
für etwas von Individuen Gemachtes hält. Die Individuen
als blosse Menschen entschliessen sich gemeinsam dazu , den
Staat durch einen Vertrag zu errichten und machen sich damit
zugleich zu Staatsbürgern. Weil aber nach Hegel der Staat
das « Irdisch-Göttliche » ist, so ist es
immer er selbst, der eben dies bewirkt, dass etwas sich ohne
ihm, ja wider ihn, machen kann ; sein liberales Sich-Enthalten
ist ohne Zweifel sein höchstes und mächtigstes Tun.
Diejenige « ungeheuere Stärke », die er zur
Neuzeit erhalten hat, besteht eben darin, dass er den Menschen
als solchen von ihm als Staatsbürger befreit und die
vollendete Entwicklung der « persönlichen Besonderheit
» des Individuums zulässt. So erweist sich der
Staat als die politische Konkretisierung des ontologischen
Wesens der göttlichen Idee, welche sich auf dem Gipfel
der spekulativen Logik als dieses absolute Tun offenbart,
ihr negierendes Moment der Besonderheit « frei aus sich
zu entlassen » (Enz.
1830, § 244), und sich damit selbst zur Natur zu entäussern
; einer Natur, worin, wie in einem Andern, ihr notwendiger
Sieg desto glänzender und geniessender sein wird. Das
Staatsganze kehrt also durch sein Anderes hindurch zu sich
zurück - eine Rückkehr, die nach Hegel allein seine
Selbstsetzung absolut bewährt. Nach dem antiken Staate,
dessen unmittelbare substanzielle Macht die Befreiung der
Individuen hemmt, und dann dem modernen christlichen Staate,
dessen individualistisches Sich-Denken die Macht ontologisch
auflöst – davon hatte Hegel in der Verfassung
Deutschlands ein bedeutendes
Beispiel gegeben –, kommt der Staat insofern zu seinem
wahren Dasein, als er seiner wesentlichen Totalität gerecht
wird, aber ohne Totalitarismus, weil er zugleich für
das Individuum und dessen Freiheit sorgt. Die Hegelsche Grundabsicht
war es eben, den Substanzialismus des klassischen Naturrechts
mit dem Subjektivismus des modernen Naturrechts im Feld des
substanziellen oder objektiven Geistes zu versöhnen.
Diese Synthese beider ist aber – da bei Hegel, wie oben
erinnert, die Synthese niemals blosse Neutralisierung ist,
sondern das Sich-Vereinigen des übergreifenden Momentes
der Antithese mit seinem Andern – vom substanziellen
Momente des Staates bewirkt wird.
c)
Aus diesem Grunde macht der notwendige Prozess – wodurch
fürs erste die Sonderinteressen in der Familie und der
bürgerlicher Gesellschaft gedeihen, dann in der letzteren
rechtlich annerkannt und beschützt sind, indem aber ihre
Befriedigung zuerst unbewusst ebenso den allgemeinen Zweck
befriedigt, welcher zuletzt für sich gewollt ist –
die blosse Erscheinung des wesenhaften Prozess aus, dessen
tätiges Subjekt das im Staate vollends verwirklichte
Allgemeine (§ 241) ist. Es ist genau dieses Übergehen
von der Erscheinung zum Wesen der sittlichen Bewegung, was
Marx – dessen überliefertes Manuskript Kritik
der Hegelschen Staatsphilosophie mit eben der
Erörterung des § 261 beginnt – Hegel als mystifizierende
Umkehrung des wahren Verhältnisses der wirklichen Sphären
(Familie und bürgerlicher Gesellschaft) des sittlichen
Lebens zum Staat vorwerfen wird. Hegel erniedrige diese Sphären
zu Erscheinungsweisen der idealen Sphäre der Sittlichkeit
(dem Staat), die er zum wirklichen Wesen erhebe. Der Staat
ist für Hegel ja der tätige Träger der Erscheinungsbewegung,
worin die vorstaatliche Sittlichkeit sich zur blossen Erscheinung
des Staatswesens auflöst ; er begründet das vorstaatliche
Leben auf zweifache Weise : erstens auf vorstaatliche, d.
h. vor-denkende Weise; und zweitens auf staatliche, d. h.
denkende Weise. Einesteils betätigt sich der Staat als
« äussere Notwendigkeit » oder «
höhere Macht », welche die Privatverhältnisse
dem öffentlichen Rechte unterstellt ; hier erinnert Hegel
an Montesquieu, der im « esprit général
» die Wechselwirkung der verschiedenen Momente des Volkslebens
von einem derselben abhängen lässt ; dieses überwiegende
Moment, das sogenannte « Prinzip der Regierung »,
drückt zwar bloss empirisch eine vernünftige Beziehung
aus, deren Entdeckung bei Montesquieu Hegel aber immer wieder
rühmend erwähnt (vgl. insbesondere schon den Aufsatz
von 1802-1803 : Über die wissenschaftlichen
Behandlungsarten des Naturrechts).
Andernteils wird der Staat, eine eigentlich denkende Sittlichkeit,
im Bewusstsein der Mitglieder der Familie und der bürgerlichen
Gesellschaft insofern zum ihnen « immanenten
Zweck », als ein solcher allgemeiner Zweck mit ihren
eigenen besonderen Zwecken eng verbunden wird ; dabei sind
die (besondere) Subjektivität und die (allgemeine) Substanzialität
nicht bloss substanziell durch Notwendigkeit, sondern auch
subjektiv durch Freiheit miteinander verknüpft. So erhält
der Staat seine absolute Macht, weil sich seine substanzielle
Allgemeinheit durch das Andere derselben, d.h. durch die subjektive
Besonderheit behauptet, welche ihrerseits, durch diese allmächtige
allgemeine Substanz gestützt ihre gesicherste Befriedigung
gewinnt. Solche den Staat in seinen Mitgliedern bekräftigende
Synthèse hat bei ihnen selbst die Identifizierung ihres
Rechtes und ihrer Pflicht zur Folge.
d)
Weil nun die Pflicht das besondere Subjekt einem substanziellen
Allgemeinen unterwirft, im Recht dagegen dieses für jenes
sorgt, so ist es nicht unmittelbar dasselbe Sujekt, das von
der Pflicht gezwungen und vom Recht befördert wird :
was dem Einen Pflicht ist, das ist keineswegs sein eigenes
Recht, sondern das des Anderen ; deshalb ist bei jedermann
die Beanspruchung seines Rechts nicht notwendig die Anerkennung
seiner Pflicht. Allerdings gilt in dieser Hinsicht Gleichheit
unter den Menschen, denn sie haben diesselben Pflichten und
dieselben Rechte. Solch eine Gleichheit besteht in der Identität
des praktischen allgemeinen Inhalts (d. h. der persönlichen
im Recht überhaupt objektivierten Freiheit), der sowohl
in der Moralität als auch im Rechte stricto sensu
von den besonderen Lebensumständen abstrahiert.
Dabei wird gerade von dem abstrahiert, was den einzelnen Willen
wirklich anregt und damit die zunächst bloss ideale Identität
von Recht und Pflicht zur realen macht.
Auf der Stufe der Sittlichkeit, worin das Gerechte und Gute
als die praktische, das Allgemeine und das Besondere miteinander
aussöhnende Totalität bestimmt ist, unterscheidet
sich aber ein solcher idealer Inhalt konkret in ihm selbst.
Daraus ergibt sich, dass die so manifestierte und erlebte
formale Identität des Rechts mit der Pflicht
zur realen wird, zur Identität eines doch jedesmal
an ihm selbst durch die bestätigten besonderen Verhältnisse
unterschiedenen sittlichen Lebens. Der Inhaltsunterschied
von Recht und Pflicht in einem und demselben Individuum –
z. B. hat in der Familie die Pflicht des Sohnes nicht denselben
Inhalt als sein Recht gegen den Vater –, sowie derjenige
sowohl der Pflichten als auch der Rechte, je nach Individuen,
konkretisiert, belebt und bekräftigt so die notwendige
Einheit des objektiven Geistes mit sich selbst als sittlichen
Geistes : in jedem und allen sind Recht und Pflicht absolut
eins. Eine solche mit sich selbst konkret vereinigte Sittlichkeit
gipfelt im Staat. Denn in diesem ist das Einssein des allgemeinen
mit dem einzelnen Leben nicht nur an sich , bloss
gefühlt, wie in der Familie, oder nur für
sich, bloss vorgestellt, objektiviert, entäussert,
wie in der bürgerlichen Gesellschaft, sondern sowohl
an sich, wie für sich, insofern es als absolute Einheit
des « Ich » und des « Wir » gedacht
wird.
Die Versöhnung des modernen Staates mit dem antiken lässt
sich also als die des Rechts mit der Pflicht, des Sonderinteresses
mit der Selbstopferung ausdrücken. Der zu seiner Vollendung
gelangte Staat befriedigt auf doppelte Weise seine Mitglieder,
sowohl nämlich als Menschen wie als Staatsbürger.
Der Mensch, als Privateigentümer, gewissenhaftes Subjekt,
Mitglied einer Familie, oder Gesellschaftsträger, wird
notwendig vom vernünftigen Staate gefördert, dessen
Allmacht somit das unpolitische Leben auf liberale Weise begünstigt.
Ebensosehr aber gewährt ein solcher Vernunftstaat dem
Staatsbürger die Möglichkeit, sein allzu menschliches
Dasein zu überwinden, indem er jenem, wenn nötig,
bis zum Tod dient. Der vollendete Staat reduziert sich nicht
auf ein blosses, dem Sonderinteresse dienendes Mittel; er
ist vielmehr « die alleinige Bedingung der Erreichung
des besonderen Zwecks und Wohls » (§ 261, Zusatz).
Hegel verwirft also gleicherweise die zwei entgegengesetzten
einseitigen Standpunkte des Liberalismus und des Totalitarismus
in der Politik.
2. Die vorstaatliche Äusserung
des Staates (§ § 262-265)
a)
Im letzten Paragraphen des sich auf die bürgerliche
Gesellschaft beziehenden Abschnittes (§ 256 Anm.), hat
Hegel den logisch-ontologischen Sinn des Beweises vom notwendigen
Dasein des Staates hervorgehoben. Nach ihm ist es der bürgerlichen
Gesellschaft unmöglich, die Momente der Allgemeinheit
– die ein Schicksal bleibt – und der Besonderheit
– die eigensüchtig bleibt – in ihr selbst
auszusöhnen. Als an sich selbst widersprüchlich,
folglich nicht seiend, hat die bürgerliche Gesellschaft
– und damit alle (im logisch-ontologischen Sinne) vorstaatliche
Sittlichkeit, denn die bürgerliche Gesellschaft enthält
als « allgemeine Familie » ( § 239) die Familie
in ihr selbst – ein Sein nur unsofern, als sie auf dem
Sein des die Allgemeinheit und Besonderheit konkret vereinigenden
Staates beruht. Nur insofern der Mensch seine Befriedigung
im Staat erlangt, kann er überhaupt ein Familien- und
Gesellschaftsleben führen – so mangelhaft dieses
für sich auch ist. Dem sittlichen Leben, selbst dem primitivsten,
am wenigsten gegliederten, kommt also ein Sein nur insofern
zu, als dasselbe vor allem die verallgemeinernde und zusammenschliessende
Bestimmung dessen erfüllt, was in der geschichtlichen
Entwicklung als der eigentliche, von Familie und bürgerlicher
Gesellschaft sich streng unterscheidende Staat hervortreten
wird. Nur als wesentlich staatliches setzt sich das sittliche
Ganze in den miteinander gegliederten Bestimmungen der Familie,
der bürgerlichen Gesellschaft und des Staats selbst ;
nach Hegel realisiert sich das Absolute – dessen irdische
Äusserung der Staat ist – nur indem es in seiner
konkreten Identität sich selbst als absolutem die unterscheidende
Beziehung seiner zwei als abstrakt (getrennt) gesetzten Hauptmomente
entgegensetzt. Deshalb existieren Familie und bürgerliche
Gesellschaft nur als Bestimmungen der sie begründenden,
mit-sich-identischen Totalität oder Idee des Staates
: "Es ist die Idee des Staates selbst, welche sich in
diese beiden Momente dirimirt" (§ 256 Anm.). Dies
ist das in § 262 wieder behandelte Thema.
Hier betont Hegel den Inhalts- und Gehaltsunterschied der
drei Äusserungen – Familie, bürgerliche Gesellschaft
und Staat – des im Grunde wesentlich politischen Lebens.
Der Inhalt der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft,
der beide zu widersprüchlichen, daher an sich selbst
irrealer oder ideellen Bestimmungen macht, ist ein bloss endlicher.
In der ersten erscheint der Staat nach seinem blossen Momente
der Identität des Allgemeinen mit dem Besonderen, einer
so unentwickelt in sich selbst verbleidenden Identität,
dass ihr An-sich- nicht zum Für-sich-sein werden kann
; in der zweiten dagegen erscheint er nach seinem blossen
Momente des die Distanz eines Für-sich-seins ermöglichenden
Unterschiedes des Allgemeinen vom Besonderen : was dabei für
sich wird, ist nicht mehr an sich. Im Gegenteil, manifestiert
sich der Staat als die negierende Einheit seiner doppelten
Endlichkeit, d. h. seines nicht für sich seienden Ansichseins
und seines nicht an sich seienden Fürsichseins, als eine
somit unendliche, sogar an und für sich unendliche Einheit
dieser vorausgesetzten Endlichkeit. Der sittliche Geist verwirklicht
sich also in seiner Unendlichkeit nur durch die negative Vereinigung
seiner zwei zunächst realisierten endlichen Momente ;
der Staat kann sich nur vollkommen setzen, wenn er zuvor in
ihm selbst Familie und bürgerliche Gesellschaft zu ihrer
vollen Entwicklung und Wahrheit hat gedeihen lassen.
b)
Das vorstaatliche Wirken des Staates zeigt sich
nun schon bei der Entstehung der Familie und der bürgerlichen
Gesellschaft. Da der Staat das einzige reelle Subjekt des
sittlichen Lebens ist und es wahrhaft ermöglicht, dass
sich etwas (scheinbar) ohne ihn entwickelt, lässt er
die Individuen in ihrer atomisierten Vielheit genommenen,
als das Andere seiner Einheit, d. h. als blosse Menge, sich
jener Sphären zuteilen. Was sie eben nach der zufälligen
Besonderheit ihres Zustandes – der « Umstände
» – und ihrer « Willkür » in
den Familien- und Gesellschaftsverhältnissen tun. Die
konkrete mit-sich-identische oder freie staatliche Vernunft
betätigt sich somit im Gebiete der Familie und der bürgerlichen
Gesellschaft – der sittlichen, als Unterschied erscheinenden
Identität, oder der sittlichen Notwendigkeit –
gemäss dem Gesetz der Notwendigkeit selbst, welche den
festgehaltenen, ihr äusserlich bleibenden Unterschied
verbindet und daher im Grunde nichts anderes ils als die reine
Zufälligkeit. Hier ist sozusagen eine List der staatlichen
Vernunft am Werke : eine allgemeine Anordnung bringt sich
mittels der mannigfaltigen individuell und individualistisch
interessierten Tätigkeit des Mitgliedes der Familie und
der bürgerlichen Gesellschaft hervor (§ 263). Eine
solche List drückt den logisch-ontologischen Sinn dieser
beiden aus, insofern an ihrem besonderen Sein ihr allgemeines
staatliches Wesen bloss erscheint . Dieses
tritt wegen des zunächst erhaltenen Unterschiedes seiner
selbst von jenem Sein nur als die "Macht" in Erscheinung,
die von Aussen her dem natürlichen Gange der Familie
und der bürgerlichen Gesellschaft ihre gesetzliche Einrichtung
auferlegt.
Der Prozess des Wesens besteht aber (nach der Wissenschaft
der Logik) darin,
sich selbst mit dem Sein, dessen Wesen es ist, stufenweise
zu vereinigen : es lässt sich in seinen Schein
darauf ein, dass es selbst als Sein erscheint, und
endet damit, dass es sich im solchen Sein verwirklicht.
Deshalb müssen die Individuen, als geistige
Mitglieder der Familie oder der bürgerlichen Gesellschaft,
nicht nur ihre einzelnen Zwecke, sondern auch zuerst durch
dieselben, dann unter und zuletzt in denselben,
ihr allgemeines Wesen wollen (§ 264). Die Tätigkeit
des Staates, die durch vorstaatliche Institutionen (Ehe, ständische
Organisation, Gerechtigkeit, Polizei…) das immer noch
natürlich-sittliche Leben der Familie und der bürgerlichen
Gesellschaft verallgemeinert, gipfelt in der synthetisierenden,
gesellschaftlichen Familie, der Korporation. Hier ist das
Wohl des Individuums und das einer Gemeinschaft ein und dasselbe.
Damit ist der Prozess der Sittlichkeit an der Schwelle der
staatlichen Einheit des Allgemeinen und des Besonderen angekommen,
aber eben nur an die Schwelle. Denn die Einheit derselben
findet, als gesellschaftliche Einheit, im sondernden
oder unterscheidenden Elemente statt : die Korporation ist
zum einen noch eine besondere, inhaltlich beschränkte
Gemeinschaft, und wird zum anderen noch von den sich versammelnden
Individuen selbst getragen.
c)
All diese Familien- und Gesellschaftsinstitutionen können
also wohl von Hegel als die « Verfassung... im Besonderen
» bezeichnet werden. « Verfassung », d.
h. innere Differenzierung (in gegliederte und einander zugeordnete
Einrichtungen) der an ihr selbst schon konkreten oder vernünftigen
Identität der Identität oder Allgemeinheit mit der
Unterschiedenheit oder Besonderheit ; « im Besonderen
», d. h. im unterschiedenen, entzweiten, natürlichen
Elemente der vorstaatlichen Sittlichkeit. Als vorstaatliche
Setzung dessen, was den Staat ausmacht, sind die Familie und
die bürgerliche Gesellschaft die « feste Basis
» (§ 267) desselben, seine « sittliche Wurzel
» (§ 255) ; und dies insofern, als solch eine Basis
oder Wurzel, auf der Stufe der daseienden,
empirischen Voraussetzungen oder Bedingungen des Staates denjenigen
wesentlichen vernünftigen Grund der ganzen Sittlichkeit
ausdrückt, welcher der Staat ist. Sie sind die «
Grundsäulen » der in dem letzteren verwirklichten
« öffentlichen Freiheit » (§ 265). Wenn
aber in denselben die besondere Freiheit durch ihre faktische
Vereinigung mit dem allgemeinen Willen zur Vernunft erhoben
wird, so ist doch diese Vernunft nur an sich zustande
gebracht. Als blosses Prädikat eines durch seine Besonderheit
oder Unterschiedenheit bestimmten Subjekts ist eine solche
Vernunft diejenige Identität der Identität
mit dem Unterschied, welche durch den Unterschied,
nicht durch sich selbst gesetzt wird. Dieser Widerspruch des
Behaupteten mit dem Behauptenden aber muss – eben weil
das Widerspruchsvolle als solches nicht ist – aufgehoben
werden. Das wahre Subjekt muss also gesetzt werden, als das
mit sich identische allgemeine, d. i. politische Subjekt,
das « Wir » der staatlichen Volksgemeinschaft,
deren Leben darin besteht, ihre konkrete Identität in
eine eigentlich politische Verfassung zu gliedern. Von nun
ab ist die Freiheit dasselbe für sich, was sie an sich
ist.
3. Die staatliche Manifestation
des Staates (§§ 266-270)
Die nicht widersprüchliche Verwirklichung der Freiheit
besteht eben darin, dass der in allem Realen unmittelbar liegende
Unterschied, und damit die unmittelbare Identifizierung (als
Notwendigkeit) des als solches daseienden Unterschiedes aufgehoben
ist, so dass die Notwendigkeit die Freiheit als Freiheit
äussert. Wenn also die (im Grunde staatliche) Freiheit
in der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft als
Notwendigkeit erscheint, so manifestiert sie sich dagegen
im Staate als Freiheit. Die staatliche Äusserung –
oder Notwendigkeit – der inneren Freiheit des Sittlichen
äussert diese nicht mehr als Entäusserung ihrer
selbst, sondern als sie selbst : die Freiheit gestaltet sich
als Freiheit. Nun aber ist diese freie Gestalt der Freiheit
die Selbstbehauptung der allgemeinen Identität der Sittlichkeit
mit sich selbst in besonderen objektiven oder subjektiven
Unterschieden derselben, die sich unmittelbar an sich einrichten
oder für sich erleben als Momente oder Mitglieder der
staatlichen Totalität. Der in der bürgerlichen Gesellschaft
sich seiner selbst als Mensch, d. h. als Individuum, bewusste
Staatsbürger ist so er selbst primär nur als ein
vereinzelter Pulschlag (als « Ich ») des allgemeinen
Staatswesens (als « Wir »). Aber dieses Dasein
des Allgemeinen im Besonderen als eines solchen ist selbst
verdoppelt : es ist nämlich teils als subjektives Dasein
: die « politische Gesinnung », teils als objektives
Dasein : der Organismus der politischen Verfassung (§
267).
Nachdem Hegel daran erinnert hat, dass das tätige, im
Patriotismus vollendete Vertrauen der Individuen zum Ganzen
die konkrete Einheit des besonderen subjektiven Interesses
und des allgemeinen substanziellen Wohls voraussetzt, hebt
er die objektive oder natürliche Stetigkeit dieser zur
Gewohnheit gewordenen Gesinnung heraus : nur aus einer solchen
gewöhnlichen Gesinnung kann sich « die Aufgelegtheit
zu äussergewöhnlicher Anstrengung » begründen
(§ 268 Anm). Nun aber wird dieser Patriotismus nur insofern
vor subjektiven Welchselfällen bewahrt, als er das subjektive
Reflektiertsein der mit sich identischen, beständigen
Objektivität der Staatsverfassung ist. Wie dies sich
von selbst versteht, gründet sich die notwendige Identität
des Subjektivem mit dem Objektiven, auf der Stufe des objektiven
Geistes wesentlich auf ihr objektives Moment. Die Verfassung
allein gewährt also dem Patriotismus eben das, was ihn
in seiner Existenz und seinem Wesen an ihm selbst bestimmt
und ihn zur wahrhaften Gewissheit oder objektiven Subjektivität
macht, kurz : zum objektiven Geiste.
In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte
und über die Geschichte der Philosophie hebt Hegel den
Fortschritt vom antiken Staat zum modernen Staat hervor, welcher
letzterer strenger verfasst ist und durch seine damit festere
Objektivität in seinen Mitgliedern einen ebenfalls sichereren
Patriotismus gedeihen lässt. Indessen hängt diese
ursprünglich objektive Macht des Staats selbst von dem
organischen Zusammenhange der verschiedenen Verfassungseinrichtungen
ab. Denn bei Hegel ist sowohl die natürliche wie die
geistige Objektivität nur als organische vollendet. Deshalb
verwirklicht diese organische Objektivität der Institutionen
das allgemeine Wesen der Staatsverfassung. In ihr produziert
sich die staatliche Allgemeinheit beständig durch ihre
besonderen Gewalten (gesetzgebende, regierende, fürstliche
Gewalt); und dies notwendigerweise, weil diese Gewalten nichts
anderes sind als die Selbstdifferenzierung jener mit sich
identischen Allgemeinheit, und die in den Unterschied ihrer
Momente gesetzte Identität eben die Notwendigkeit heisst.
Nun aber ist in der Tat eine solche Selbstproduktion des Allgemeinen
dessen Reproduktion oder Aufbewahrung selbst, denn die Identität
geht ontologisch dem Unterschiede voran. Gegen die später
negativ beurteilte Lehre der Teilung der Gewalten (Montesquieu),
ja schon des blossen Verhältnisses derselben zueinander,
sei es als beigeordneter oder als untergeordneter (Kant),
betont Hegel die absolut notwendige organische Einheit der
Verfassung (§ 269, Zusatz). Den Staat wahrhaft
zu denken, heisst den objektiven Syllogismus seiner immanenten
Organisation vernünftig aufzufassen. Dazu muss man den
abstrakten Verstand überwinden, welcher der dadurch zerstörten
Einheit des Staates nur äussere « Grundsätze
» oder « Prädikate » auferlegt, und
damit beurteilt, anstatt zu begreifen.
4.
Das staatliche Leben als denkendes Leben
(§ 270)
Das Wesen des Staates, als die allgemeine wollende Identität
des allgemeinen mit dem besonderen Wohl, kann sich nur verwirklichen,
d. h. in Unterschiede entfalten, indem es sich denkt. Wenn
die geistigen Inhalte, als bloss empfundene und noch im inneren
Raume der Vorstellung nebeneinandergestellte, sich gegenseitig
ausschliessen, schliessen sie als gedachte dagegen einander
darum ein, weil jeder Gedanke immer nur die jeweilige einzelne
Selbstdifferenzierung des mit sich identischen allgemeinen
Denkens ist. Deswegen kann sich der vernünftige Inhalt
des Staates nur mittels der Form der Bildung verwirklichen.
Denn diese Form, die zwar bereits den in der bürgerlichen
Gesellschaft sich betätigenden Verstand entwickelt ist,
vollendet sich erst dadurch, dass sie ihre Allgemeinheit als
ihren Inhalt selbst ausdrückt : dies ist eben das Gesetz.
Hegel verbindet also das Denken – enischliesslich seiner
höchsten Betätigung, der Philosophie selbst –
aufs engste mit dem Staate. Dieser hat Sein nur als sich wissend.
Daraus folgt, dass der Staat sein Leben und Weben keiner Instanz
unterwerfen kann noch darf, die nicht allen Erforderungen
des Wissens gerecht würde – auch wenn sie geistig
noch höher als die Sphäre des objektiven Geistes
sein mag. Deswegen befreit Hegel in der ausführlichen
Anmerkung zu § 270 den Staat von aller religiösen
Herrschaft, und dies gegen eine Hauptendenz der Restaurationszeit.
Was die Religion angeht, so kann man sicher sein, dass sie
entweder 1) die Gleichgültigkeit gegen die Politik als
gegen das blosse Irdische, Faktische, Zufällige oder
Nebensächliche rechtfertige, oder 2) als tröstende
für die Ungerechtigkeit und Not der politischen Welt
entschädige, oder auch 3) das staatliche Leben selbst
begründe und bestimme. Darauf aber erwidert Hegel, dass
1) die Religion nicht notwendig eine Nichtigkeit der Welt
behauptet : gegen den « Atheismus der sittlichen Welt
» (vgl. Vorrede),
ist vielmehr zu sagen, dass der göttliche Geist sich
- als geistiger - vornehmlich in dieser geistigen Welt offenbart
; dass 2) die religiöse Trost schlechthin zufällig
ist – öfters nämlich hat sie Knechtschaft
und Sklaverei bestätigt oder ein Alibi geliefert, das
vom Kampf dagegen ablenkt ; und dass 3) die Behauptung, die
Religion mache die Grundbestimmung des Staates aus, das Wesen
beider gleichermassen verkennt. Diesen letzten Punkt expliziert
dann die wichtige Anmerkung zu § 270.
Allerdings ist die Religion, als Bewusstsein vom Absoluten,
selbst das absolute Bewusstein : als solches leistet sie insbesondere
dem Staate die höchste, letzte reale Sicherung. Deswegen
darf der vernünftige Staat von all seinen Mitgliedern
fordern, dass sie sich an irgendeine Religion binden. Wenn
aber die Religion auch den Staat begründen kann,
so ist es ihr doch unmöglich, den Staat zu bestimmen.
Wegen des Inhaltsunterschiedes des Staates von der Religion
müsste nämlich diese jenen durch ihre blosse, gefühlsmässige,
subjektive Form bestimmen. Nun aber kann der religiöse,
alle feste Objektivierung verachtende Subjektivismus weiter
nichts als den streng bestimmten und gegliederten Organismus
des Staates mit Fanatismus zu zerstören : welch ein geschtlichtlicher
Rückschritt ! Denn der ganze Gang der Weltgeschichte
hat stetig darauf gezielt, dass das objektive Denken sich
immerfort entwickle. Daraus erhellt, dass der Staat sich auf
seiner eigenen Stufe bestimmen soll. – Mehr noch : weil
er der in seiner Wahrheit angekommene objektive Geist ist,
so kann und soll er auch die objektive Seite aller Äusserungen
des Geistes, selbst die des absoluten Geistes, nämlich
die der Religion, durchdringen. Erstens ist eine Kirche als
objektive (im Kultus, im "mannigfaltigen Eigentum"
etc.) daseiende Gemeind den staatlichen Verordnungen untergeordnet.
Ferner, wenn die Religion als innere Gemeinschaft dem äusseren
Zwang des Staates entgeht, der eine bestimmte Religion weder
vorschreiben kann noch darf, so ist dagegen die allgemeine
von ihr aufgestellte Lebenslehre – worin der Staat häufig
als ein blosser zum Behuf der Befriedigung der sinnlichen
Bedürfnisse eingerichteter Mechanismus betrachtet wird
– der staatlichen Aufsicht unterworfen ; mit vollem
Recht, denn der Staat trägt die absolute Verantwortung
für die Erziehung, weil er auf der Stufe des Denkens
steht während das Element der Religion als solcher die
blosse Vorstellung ist. Also darf und soll er die kirchliche
Lehre kontrollieren, insoweit diese das Rechtsgebiet angeht.
Später, in seinen Vorlesungen über die
Philosophie der Geschichte, wird Hegel zwar
soweit gehen zu sagen, dass der wahre Staat sich nicht mit
jeder beliebigen Religion verträgt, dabei aber immer
noch daran festhalten, dass der Staat selbst nicht eine bestimmte
Religion auferlegen kann. Denn der sich in der Weltgeschichte
betätigende Weltgeist allein kann das Schicksal des positiven
Verhältnisses von Staat und Religion absolut beherrschen.
5. Gliederung des inneren Staatsrechtes
(§ 271)
Die Realisierung des Staates als Subjekt seines eigenen Rechtes
besteht notwendig darin, dass die staatliche Identität
sich im Elemente des Unterschiedes setzt. Erstens, als Sich-Unterscheiden
im Staate, zweitens als Sich-Unterscheiden vom
Staate : innere und äussere Politik.
a)
Die « politische Verfassung » organisiert die
innere Selbstunterscheidung des Staates in verschiedene Gewalten.
Diese sind zwar (der Objektivität des Geistes
zufolge) auf bestimmte Funktionen fixiert und ineinander gefügt
(gemäss der Objektivität des Geistes),
drücken aber zugleich die Identität des Staates
mit sich selbst aus. Die so ihrem inneren Unterschiede gerecht
werdende politische Verfassung realisiert sich vollkommen
im Frieden.
b)
Der Krieg dagegen ist es, der die Macht zugleich an den Tag
bringt und verstärkt, wodurch der mit sich identische
Staat seine organische Unterschiedenheit beherrscht. Die notwendig
negierende - also unterscheidende – Selbsttätigkeit
der staatlichen Einheit bewährt sich nur, insofern sie
sich als solche von anderen Staatseinheiten unterscheidet.
Eben damit setzt sie ihren inneren bestehenden Unterschied
zur irrealen oder ideellen herab. Dies ist die « Souveränität
gegen Aussen », worin, als der Seite des Äussersichseins
im « inneren Staatsrechte » selbst, das zweite
Hauptmoment des politischen Lebens vorweggenemmen ist, nämlich
das « äussere Staatsrecht », das quasi als
Subjekt des Rechts gesetzte Verhältnis selbst von Staaten
zueinander.
Bernard BOURGEOIS
Professeur Émerite de Philosophie
à l'Université de Paris I - Sorbonne,
Membre de l'Institut
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